Aschenbrödel: Die DDR-Geschichte – Ein Märchen mit sozialistischem Twist?
Das Märchen von Aschenputtel kennt jeder. Die Geschichte der misshandelten Stieftochter, die durch einen glücklichen Zufall ihren Prinzen findet, ist weltweit verbreitet. Doch wie sah Aschenputtel in der DDR aus? Gab es eine spezifisch ostdeutsche Interpretation des klassischen Märchens? Die Antwort ist komplexer, als man zunächst vermuten könnte. Es gab keine offizielle, staatlich gelenkte „DDR-Version“ von Aschenputtel, aber die gesellschaftlichen Bedingungen und die Ideologie des Sozialismus beeinflussten die Rezeption und Adaption des Märchens nachhaltig.
Die Märchenlandschaft der DDR
Die DDR-Gesellschaft war geprägt von einem spezifischen Umgang mit Tradition und Kultur. Während die SED-Ideologie kapitalistische Einflüsse kritisch bewertete, wurde die Bedeutung von Volkskultur und traditioneller Literatur – zumindest selektiv – anerkannt. Märchen gehörten dazu, wurden aber oftmals im Sinne der sozialistischen Ideologie uminterpretiert. Gleichheit, Gerechtigkeit und der Kampf gegen Unterdrückung waren zentrale Themen, die in vielen adaptierten Märchen – ob explizit oder implizit – hervorgehoben wurden.
Aschenputtel im Kontext der sozialistischen Werte
Die Geschichte von Aschenputtel bot einige Ansatzpunkte für eine sozialistische Lesart. Das Motiv der Unterdrückung durch die herrschende Klasse (die Stiefmutter und Schwestern) konnte mit der Kritik am Kapitalismus in Verbindung gebracht werden. Aschenputtels Fleiß und ihre positive Einstellung konnten als positive sozialistische Tugenden interpretiert werden. Der glückliche Ausgang, die Heirat mit dem Prinzen, symbolisierte den Triumph der Guten über das Böse, einen Aspekt, der in der Propaganda der DDR gerne genutzt wurde.
Aschenputtels Abwesenheit von der großen Bühne
Trotz der potenziellen Parallelen zur sozialistischen Ideologie fehlte eine dominante, staatlich propagierte Version von Aschenputtel in der DDR. Die Märchen wurden zwar nicht verboten, aber die staatliche Kontrolle und Zensur beeinflussten die Auswahl und die Interpretation der Geschichten. Es gab keine groß angelegten Verfilmungen oder Theateradaptionen, die Aschenputtel im Mittelpunkt eines sozialistischen Narrativs setzten. Dies lag vermutlich an der Fokussierung der Propaganda auf andere Themen, die als wichtiger für die Ideologie erachtet wurden.
Märchen im Kindergarten und in der Schule
In Kindergärten und Schulen wurde Aschenputtel jedoch sicherlich erzählt. Die Lehrer und Erzieherinnen hatten aber viel Spielraum in ihrer Interpretation. Die Fokussierung auf Fleiß, Hilfsbereitschaft und positive Eigenschaften waren wohl zentrale Aspekte, die die sozialistischen Werte untermauerten. Die Betonung des Prinzen als symbolischen Repräsentanten eines gerechten Systems war wahrscheinlich weniger wichtig.
Aschenputtel als Spiegel der gesellschaftlichen Realität
Die Abwesenheit einer dominant präsenten DDR-Version von Aschenputtel zeigt gleichzeitig, wie komplex die Beziehung zwischen Märchen und sozialistischer Ideologie war. Obwohl Aschenputtel nicht aktiv instrumentalisiert wurde, wirkte die sozialistische Gesellschaft auf seine Rezeption ein. Die Geschichte wurde vermutlich im Unterricht und zu Hause erzählt, stets im Kontext der sozialistischen Werte und Normen. Die Interpretationen variierten, aber die Grundgeschichte blieb – trotz fehlender offizieler Adaptionen – in der DDR-Gesellschaft präsent.
Fazit: Ein unscheinbares Märchen im sozialistischen Kontext
Aschenputtel in der DDR war kein spektakuläres Phänomen. Es gab keine staatlich inszenierte Umdeutung. Doch die Geschichte blieb bestehen, lebte in den Köpfen der Kinder und wurde in der Schule erzählt. Die sozialistische Gesellschaft, mit ihren Idealen und Restriktionen, prägte die Interpretation dieses Märchens, auch wenn dies subtiler geschah, als es in anderen Bereichen der Kultur der Fall war. Die Geschichte von Aschenputtel in der DDR zeigt uns daher einen weiteren, weniger offensichtlich inszenierten, aber nicht weniger interessanten Aspekt des Umgangs mit Tradition und Kultur im sozialistischen Staat.